Altes Loslassen und Neues Aufnehmen
Der Bauer arbeitet fleißig auf seinem Feld, indem er den Boden bearbeit und bestellt. Er tut dies um Schädlinge abzuwehren und dafür zu sorgen, dass die Pflanzen gut gedeihen. Auch bei Qi Gong kommt man nicht umhin täglich zu arbeiten, damit die schädlichen Einflüsse eliminiert werden. Der frühe Morgen ist nicht nur für den Bauern die wichtigste Zeit, sondern auch für den Qi Gong Übenden. Zu Beginn des Tages geht die „Saat“ des Qi am besten auf und bildet starke, gesunde Wurzeln bis tief in die Erde.
Im Laufe der Geschichte gab es für Qi Gong die verschiedensten Bezeichnungen. In alten Zeiten wurde es tugu naxin genannt, das „Altes ausstoßen, Neues aufnehmen“ bedeutet. Auch Xingqi „das Qi strömen lassen“, yangsheng „das Leben nähren“, neigong „innere, nährende Übung“ oder daoyin „Leiten und Führen des Qi und Dehnen der Glieder” waren Bezeichnungen für Qi Gong.
Obwohl schon vor 3000 Jahren Qi Gong ähnliche Übungen in China nachweislich bekannt waren, ist die Bezeichnung „Qi Gong“ relativ jung. Sie wurde zum ersten Mal in einem Text erwähnt, der während der Ming–Dynastie (1368–1644) entstand. Bis ins 20. Jahrhundert verwendetet man die Bezeichnung Qi Gong allerdings nicht in seiner heutigen Art. Die Daoismus–Forscherin Catherine Despeux hat festgestellt, dass das Wort Qi Gong im Titel zweier, 1915 und 1929, erschienener Werke erstmals auftaucht. Die therapeutische Verwendung datiert erst aus dem Jahre 1936. Ein gewisser Dong Hao publizierte ein Werk mit dem Titel „Spezialtherapie für Tuberkulose“.
Der große Weg ist sehr einfach, aber die Menschen lieben die Umwege.
Sinnsprüche von Laotse und Dschuang Dsi
Die Bezeichnung Qi Gong, wie wir sie heute kennen, ist also noch relativ jung.
Trotz dieser verschiedenartigen Namen sind „Qi Gong–Übungen“ in China seit Jahrtausenden bekannt. Möglicherweise waren die Tiertänze, der alten chinesischen Schamanen, die frühesten Übungen die dem Qi Gong ähneln. Dies könnte erklären warum einzelne Qi Gong Körperhaltungen, aber auch ganze Stilrichtungen, Tiere zum Vorbild haben und nach ihnen benannt werden. Wie zum Beispiel: „Badende Ente“, „Springender Affe“, „Schreiende Eule“ und „Sich drehender Tiger“, um nur einige zu nennen. Auch jüngere Qi Gong–Systeme bedienen sich, bei der Bezeichnung der Übungen, des Tierreiches. Als „Löwengebrüll“, „Alter Bär im Wald“ und „Fliegender Kranich“ werden Körperhaltungen bezeichnet. Der Qi Gong Schüler entwickelt hierbei die Fähigkeiten des jeweiligen Tieres. Diese sind Balance, Geschmeidigkeit, Schnelligkeit und Stärke. Insbesondere werden, während des Übens, Gesundheit, Ausdauer und Vitalität der Tiere auf den Übenden übertragen.
1973 fanden Archäologen in der Nähe von Changsha, der Hauptstadt der Provinz Hunan, ein Textrelikt, das inzwischen zur wichtigsten Informationsquelle des Qi Gongs des Altertums geworden ist. Dabei handelt es sich um ein Seidentuch das dem verstorbenen König Ma (168 v. Chr.), als Grabbeigabe, mitgegeben wurde. Darauf sind die ältesten Daoyin–Übungen abgebildet — insgesamt 44 Stück. Dieses Seidentuch zeigt die wichtigsten Atemübungen, Körperhaltungen, Bewegungen und Selbstmassagetechniken wie sie noch heute praktiziert werden.
Interessant ist, dass in der Beschreibung der Übungen spezielle Gesundheitsprobleme wie z.B. Nierenkrankheit, Blähungen, Knieschmerzen, Ischiasschmerzen, Rheuma, Gastritis und Angstzustände angesprochen werden. Die Übungen wurden damals, wie „Hausmittelchen“, gezielt zur Heilung von Beschwerden eingesetzt. Man kann also sehen, dass die Menschen ebenfalls an uns bekannten Krankheiten litten, wenn auch aus anderer Ursache.